Netzausbau in Europa: Quo vadis?

Lauren Usgaard (HPP Consulting) und Ludwig Modra (BTV Multimedia GmbH) haben einen Überblick über die digitalen Agendas und den Ausbaustatus in verschiedenen Europäischen Ländern verschafft.

 

Nahezu alle aktuellen Zukunftstrends haben eins gemeinsam: Digitalisierung als Basis. Im Rahmen davon steigen die Anforderungen an die von den Netzen lieferbaren Datenmengen und Geschwindigkeiten. Diese Entwicklung ist mittlerweile nicht nur bei Unternehmen, sondern auch bei Privatpersonen angekommen. Schlagwörter wie Glasfaser und das Gigabitzeitalter sind omnipräsent.

Hierfür hat die EU bereits im Jahr 2010 Ziele für ihre “Strategie Europa“ bis zum Jahr 2020 definiert. Demnach sollen bis 2020 alle Europäer mit schnellen Breitbanddiensten (über 30Mbit/s) und 50% aller Haushalte mit einer ultraschnellen Breitbandverbindung (über 100 Mbit/s) versorgt werden. Mittlerweile ist bekannt, dass nicht alle gesetzten Ziele bis 2020 erreicht werden können.

Der Begriff “ultraschnelles Internet“ wird heutzutage von vielen Endkunden direkt mit dem Begriff Glasfaser in Verbindung gebracht. Allerdings ist zu beachten, dass die politischen Ziele anhand der Geschwindigkeit der Verbindung festgelegt sind, und nicht der Art des Ausbaus. Es ist durchaus möglich Geschwindigkeiten von über 100 Mbit/s mit anderen Netzen als Glasfaser zu erreichen. Demnach variiert die Art des Netzausbaus in den europäischen Ländern stark, je nach dem in welchem Status sich das aktuelle Netz befindet, sowie die Ausbaupläne und Investitionen von der lokalen Politik und den Netzanbietern.

Um der wachsenden Nachfrage von Unternehmen und Privathaushalten gerecht zu werden, nutzen Netzbetreiber aktuell zwei Lösungen beim Netzausbau: Glasfaser und Hybrid Fiber Koaxial (HFC) Kabel mit DOCSIS3.1. Europäische Märkte unterscheiden sich aufgrund von Investitionsentscheidungen sowie dem Grad von einem vorhandenen DSL- oder HFC-Netz. Anhand dieser Grundlagen werden Zukunftsentscheidungen bezüglich des Netzausbaus getroffen.

Der belgische, niederländische und deutsche Markt sind Paradebeispiele für ein stark ausgebautes HFC-Netz. Aufgrund von hohen Initialkosten im Tiefbau liegt demnach der kurzfristige Fokus im Upgrade von DOCSIS3.0 auf DOCSIS3.1. So können in beiden Ländern mit niedrigeren Investitionskosten ebenso Geschwindigkeiten von 100 Mbit/s bis zu 1000 Mbit/s erreicht werden.

Hierzu gibt es in den Niederlanden die “Digital Agenda“ mit konkreten Zielen von mindestens 100 Mbit/s für alle Bürger bis 2023, und bis zum selben Jahr von 1 Gbit/s für die Mehrheit der Bürger. Um diese Versorgung für Verbraucher zur Verfügung zu stellen, werden die großen Telekommunikationsunternehmen angehalten ihre Netze für Drittanbieter zu öffnen. Da aktuell knapp die Hälfte der Breitbandanschlüsse auf HFC basieren, wird der Upgrade dieses Netzes vorrangig vorangetrieben, um kurzfristige Ziele zu erreichen. Da die Niederlande ihre führende Position in digitaler Infrastruktur für die Zukunft sichern will, wird parallel in den Neubau von reinen Glasfaser-Strukturen investiert, allerdings mit einer niedrigeren Dringlichkeit als bei anderen europäischen Märkten.

Den Titel digitaler Vorreiter von Europa zu sein hat sich Belgien ebenfalls als Ziel gesetzt. Hier nutzen aktuell sogar mehr als die Hälfte der Breitbandanschlüsse die HFC-Technologie. Mit der Agenda “Digital Belgium“ will Belgien durch gezielte Aktionen das Upgrade des HFC-Netzes und den Ausbau von Glasfaser vorantreiben. So wird zum Beispiel ein ausgewogener Wettbewerb zwischen in- und ausländischen Telekommunikationsanbietern unterstützt, um weitere Netzinvestitionen anzustoßen. Zusätzlich hat Belgien aktiv Verwaltungsaufwände und Rolloutkosten gesenkt, um die Einführung neuer Breitbandtechnologien zu fördern, und den Anspruch gestellt, dass jedes neu gebaute oder renovierte Haus in der Zukunft Glasfaser anschlussbereit sein muss.

Deutschland gehört ebenso wie Belgien und Niederlande zu den Märkten mit einem gut ausgebauten HFC-Netz. Auch hier drehen sich kurzfristige Investitionsentscheidungen um das Upgrade des bereits vorhandenen Netzes und langfristige Investitionen um den kontinuierlichen Ausbau von Glasfaser.

Märkte wie Frankreich und Großbritannien dagegen haben heute noch eine Überzahl an DSL Anschlüssen. Um Zukunftsziele zu erreichen liegt der Fokus daher überwiegend auf Glasfaser.

Die britische Regierung veröffentlichte dazu 2018 den „Future Telecoms Infrastructure Review“, mit dem Ziel bis 2033 eine flächendeckende Versorgung durch Glasfaser gewährleisten zu können. Zwischenziele besagen, dass bis 2025 15 Millionen Gebäude einen Glasfaseranschluss haben sollen und bis 2027 die Mehrheit der Bevölkerung über eine 5G-Versorgung verfügt. Um diese Ziele zu erreichen, wurden Milliarden schwere Förderinvestitionen getätigt und das regulatorische Umfeld angepasst, um Anreize für neue Wettbewerber zu schaffen.

Ambitionierter sind die Ziele des Plans „France Très Haut Débit“, der in Frankreich veröffentlich wurde. Gemäß dieser Planung soll bis 2025 FTTH (Fiber to the Home) flächendeckend im Land ausgerollt werden. Im Kontrast zu anderen Märkten ist die Siedlungsstruktur in Frankreich durch einen hohen Anteil an dünn besiedelten Gebieten geprägt (43% der Bevölkerung). Dort sind Investitionskosten pro Kopf deutlich höher als in dicht besiedelten Gebieten. Lokale Behörden versuchen hier über öffentliche Initiativen in Kooperation mit Netzbetreibern Glasfasernetze aufzubauen. Dies ist in dicht besiedelten Gebieten nicht notwendig da Betreiber in solchen privatwirtschaftlich ausbauen.

Ein anderer Fall ist Polen. Hier wurde der DSL-Anschluss 2017 durch HFC als beliebteste Technologie abgelöst. Allgemeine Ziele von 30 Mbit/s für alle Haushalte und 100 Mbit/s für 50% der Haushalte bis 2020 werden demnach durch eine Kombination aus HFC und Glasfaser erreicht, die weiterhin parallel ausgebaut werden. Die flächendeckende Breitbandversorgung wird allerdings auch hier durch die große Anzahl an ländlichen Regionen beeinträchtigt.

Grundsätzlich soll man beachten, dass wir heutzutage immer von hybriden Netzen sprechen. Dies basiert grundlegend auf der Tatsache, dass die nationalen und internationalen Backbones schon weitestgehend aus Glasfaser bestehen. Die Frage, ob Glasfaser oder Koax in den nächsten Jahren eingesetzt wird, bezieht sich also primär auf die letzten Meter bis hin zur Multimedia Dose bei dem Endverbraucher, also die Netzebenen 4 die den Ausbau im Haus beschreibt.

Neben der Nachfrage nach einer höheren Geschwindigkeit in Haushalten und Unternehmen, hat ein weiterer technologischer Trend Auswirkungen auf die Entscheidungen bezüglich des Netzausbaus: Der Mobilfunkstandard 5G.

Mit dem neuen Mobilfunkstandard wird nicht nur die Mobiltelefonie auf den neuen Level gebracht. Vielmehr wird die Vernetzung der Abläufe sowohl in der Industrie als auch bei privaten Nutzern eine deutliche Verbesserung erfahren und zahlreiche neue Anwendungen ermöglichen.

Kritische Anwendungen mit digitaler und sensor-gesteuerter Kommunikation zwischen Objekten, wie V2X (vehicle to everything), M2M (machine to machine) oder Telemedizin erfordern niedrige Latenzzeiten, Datenvolumen und Stabilität, die nur mit 5G zu erreichen sind.

Um den Backbone von 5G auszubauen, benötigt man Glasfaser als Grundlage. Dies wird in allen Ländern, unabhängig von der Technologieentscheidung für den Netzausbau hin zum Endverbraucher, der Treiber für das Glasfaser-Geschäft sein.

Die Autoren

Lauren Usgaard – Management Consultant – arbeitet seit 2017 bei HPP und unterstützt dabei namenhafte Klienten aus unterschiedlichen Branchen. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Bereich Telekommunikation.

Nach seiner langjährigen Tätigkeit in verschiedenen Führungspositionen in der Telekommunikationsbranche ist Ludwig Modra seit Januar 2020 Geschäftsführer und COO bei BTV Multimedia GmbH.