Hochvolt-Ladeinfrastruktur – Retail im Kontext eMobilität

M. Hartung & C. Karwehl

1. Status quo eMobilität in Deutschland

Die Elektromobilität in Deutschland nimmt weiter an Fahrt auf, das Modellangebot wächst stetig und mittlerweile hat nahezu jeder Hersteller zumindest ein batterieelektrisches Fahrzeug (BEV) im Portfolio. Staatliche Zuschüsse wie die Prämie für die Anschaffung von Elektrofahrzeugen sowie steuerliche Vorteile und gegenüber Verbrennern reduzierte Gesamtkosten stellen zusätzliche Kaufanreize dar. Wären da nicht Grundsatzdiskussionen um Alltagstauglichkeit und verfügbarer Ladeinfrastruktur – ein klassisches Henne-Ei-Problem für breite Teile der Bevölkerung.

Als kritischem Faktor kommt dem Ausbau der Ladeinfrastruktur eine besondere Bedeutung im Kontext der Kauf- und Nutzungsentscheidung zu. Insbesondere im Diskurs des viel zitierten Begriffs der „Reichweitenangst“ wünschen sich Kunden eine hohe Verfügbarkeit von Lademöglichkeiten und eine möglichst nahtlose Integration in den Lebensalltag. Neben dem Laden am Wohnort, welches durch den meist hersteller-seitigen Vertrieb von Wallboxen forciert wird, steht dabei insbesondere das Laden auf der Route bzw. am Zielort an öffentlichen Ladepunkten als Anforderung von privaten und gewerblichen Nutzern im Fokus.

Gemäß dem Masterplan für Ladeinfrastruktur der Bundesregierung sollen bis 2030 1 Mio. öffentliche Ladepunkte in Deutschland verfügbar sein, um die prognostizierten 15 Mio. zugelassenen E-Autos mit Strom versorgen zu können. Auch wenn diese Prognosewerte als ambitioniert angesehen werden, so ist es unbestritten, dass ein flächendeckendes Netz von Lademöglichkeiten wichtig ist, um die Elektromobilität in Deutschland weiter auszubauen.

 

2. Herausforderungen im Kontext Ausbau der Ladeinfrastruktur

Aktuell geht der Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland zu langsam voran, denn die Lücke zwischen den verfügbaren Ladepunkten und der Anzahl der zugelassenen Elektroautos wächst. Vergleicht man die Ladepunkte pro zugelassenem E-Fahrzeug in den fünf größten Städten in Deutschland, so zeigt sich deutlich, welcher Nachholbedarf bezüglich des Ausbaus des öffentlichen Ladenetzes besteht. Während die Ausbaustände von Hamburg mit 18,2 und Berlin mit 19,5 Fahrzeugen, die sich einen Ladepunkt teilen, dem Ziel der Bundesregierung (15 Fahrzeuge pro Ladepunkt) schon recht nahekommen, so klaffen in München (24,9), Stuttgart (27,1) und insbesondere in Frankfurt am Main (65,7) beträchtliche Lücken, die nur schwer und vor allem langsam zu schließen sein werden. Städtische Vorgaben und bürokratische Prozesse im Zuge der einzelnen Genehmigungsverfahren benötigen viel Zeit.

Nach wie vor existieren große Versorgungslücken im städtischen, öffentlichen Bereich, wohingegen auch festzuhalten ist, dass der Aufbau von privaten Lademöglichkeiten aufgrund vieler Mehrfamilienhäuser limitiert ist und die Installation von Lademöglichkeiten in Tiefgaragen wiederrum eigene Herausforderungen mit sich bringt.

Dennoch sehen wir auf der Anbieterseite Bewegung bei den Marktteilnehmern, die sich um den Aufbau und Betrieb von Ladesäulen als Charge Point Operator (CPO) kümmern. Allen voran Energieerzeuger, die große Ladeparks errichten und Kooperationen mit Retail-Unternehmen eingehen, nebst Stadtwerken, aber auch Unternehmen aus der Mineralölindustrie, die ihr bestehendes Tankstellennetz um- und ausbauen. Auf Ladeinfrastruktur und Betrieb fokussierte Unternehmen sowie Start-ups mit der Ambition schnell zu wachsen, komplettieren die Anbieterlandschaft. All diese Player planen und realisieren Ladeinfrastruktur auf Grundlage eigener Berechnungen, Algorithmen und Ausbauschwerpunkte.

 

3. Empfohlene Stoßrichtungen für Automobilhersteller

Automobilhersteller spielen bereits eine aktive Rolle, wenn es darum geht, Privat- und Geschäftskunden mit Ladeinfrastruktur für den lokalen Bedarf auszustatten, sollten unserer Meinung nach aber auch im Kontext des Ladeinfrastrukturausbaus im öffentlichen Raum eine führende Rolle einnehmen und den Ausbau nicht komplett Dritten überlassen.

Ziel muss es sein, ein idealtypisches, den Anforderungen der einzelnen Kundengruppen gerechtes Ladenetz aufzubauen (hier vor allem unterschiedliche Schwerpunkte für private im Vergleich zu gewerblichen Kunden), um E-Fahrzeug Absätze auch nach einem Wegfall der staatlichen Subventionen zu stabilisieren oder zu steigern.

In diesem Kontext empfehlen wir, Fahrzeug- und Bewegungsdaten zu analysieren, um auf dieser Grundlage Mobilitätsszenarien zu entwickeln, die als Basis für die Ableitung des idealtypischen Ladesäulennetzes in einer Stadt, Region bzw. einem Land dienen.

Auf dieser Grundlage folgt im zweiten Schritt die Realisierung des Idealnetzes, wobei wir für den öffentlichen bzw. halb-öffentlichen Bereich insbesondere drei unterschiedliche Stoßrichtungen empfehlen:

  • Etablierung von ausgewählten Kooperationen mit externen Retailpartnern wie bspw. Baumärkte, Supermärkte, Einkaufszentren oder weiteren relevanten POIs für die jeweilige Zielgruppe (passend zur Marke)
  • Errichtung von stationären oder temporären Marken-Ladehubs als Möglichkeit zum direkten Kundenkontakt und Realisierung einer entsprechenden Erlebniswelt
  • Forcierung der Realisierung von öffentlich-zugänglichen Lademöglichkeiten auf dem Gelände der Sales & Aftersales Vertragspartner der OEMs

Eine besonders hohe Skalierbarkeit besteht vor allem beim Ausbau im Netz der Vertriebspartner, denn durch die hohe Anzahl der Partner kann ein großer Anteil des Bedarfs an öffentlichen Ladesäulen in allen Gebieten Deutschlands abgedeckt werden. Aufgrund der geringen Hürden ist der Ausbau im eigenen Händlernetzwerk (vollumfänglich oder punktuell gemäß Idealnetzplanung) am schnellsten und einfachsten planbar, weshalb es für OEMs handlungsleitend sein muss, dieses mit Ladesäulen auszustatten und öffentliches Laden zu ermöglichen.

 

4. Herausforderung Ausbau Ladeinfrastruktur im autorisierten Vertriebsnetz

Der Auf- und Ausbau der Ladeinfrastruktur auf dem Gelände der Sales- und Service-Partnerbetriebe gestaltet sich aufgrund unterschiedlicher Einflussfaktoren als Herausforderung für Hersteller und Handel.

Die Kombination aus Angebots- und Nachfragedynamik und dem daraus resultierenden Handlungsdruck in Verbindung mit der schnellen Weiterentwicklung der Produkte (Anforderungen der Fahrzeuge sowie Performance der Ladesäulen bzw. Ladetechnik) führt unmittelbar zu spezifischen Herausforderungen für den Retail:

  1. Jeder Betrieb hat eine bestimmte Netzanschlussqualität, welche oftmals für den Ausbau bzw. die Skalierung von Ladeinfrastruktur nicht ausreicht. Betriebe stehen somit vor der Aufgabe, den Stromverbrauch und die freie Stromkapazität zu ermitteln, was jedoch ggf. aufgrund fehlender Voraussetzungen (bspw. keine Möglichkeit zur Stromverbrauchsmessung aufgrund fehlender digitaler Netzanschlüsse) nicht immer möglich ist.
  2. Weiterhin muss jeder Händler seinen Anteil am Hochlauf des BEV-Absatzes und dem daraus resultierenden Energiebedarf von Kunden prognostizieren. Um dies berechnen zu können, stehen die Händler vor der Herausforderung, Annahmen bzgl. der Kundenbesuchsfrequenz und dem konkreten Lade- bzw. Strombedarf zu definieren sowie weitere relevante, prozessuale Vorgaben für den Sales- und Service-Bereich (bspw. Standards des/ der Hersteller) zu berücksichtigen.
  3. Je nach Ergebnis von Ist-Aufnahme und Bedarfsplanung erstellt der Betrieb die Einkaufsliste für die benötigten Produkte entlang der Dimensionen Stromerzeugung (Photovoltaikanlagen und Module) & Speicherung (Batteriespeicher), technische Infrastruktur (bspw. Leistungs- und Lastmanagement, Generatoren, Wechselrichter) sowie Hochvolt-Ladesäulen. Je nach Bedarf entstehen hier mitunter hohe Investitionskosten.

Grundsätzlich ist die technologische Entwicklung von E-Fahrzeugen und Ladestationen von einer hohen Dynamik geprägt, sodass Händler sich mit einem kontinuierlichen Investitionsbedarf konfrontiert sehen. Gerade die Kombination aus hohen Investitionskosten und der Planungsunsicherheit bzgl. künftiger Investitionsbedarfe erschwert den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Die Hersteller sind angehalten, die Vertragspartner entlang der genannten Herausforderungen beim zielgerichteten Auf- und Ausbau der HV-Ladeinfrastruktur umfangreich zu unterstützen.

 

Für einen bedarfsgerechten Ausbau der Ladeinfrastruktur im Händlernetz ist unserer Ansicht nach ein ganzheitliches Händlerbetreuungsmodell zu realisieren, welches aus folgenden Betreuungsmodulen besteht

A. Unterstützungsleistungen für Planung, Aufbau und Betrieb von Ladesäulen – von Standortanalyse und Bedarfsberatung über Koordination von Baumaßnahmen sowie Installation und Set-Up bis hin zur Energieüberwachung und technischem Support

B. Gezielte Unterstützung mit Fokus auf Bedarfs- und Investitionsplanung als Grundlage für die Ableitung der notwendigen Investitionen in die Hochvolt-Ladeinfrastruktur:

  1. Analyse des durchschnittlichen Strombedarfs und Bestimmung der freien Stromkapazitäten
  2. Berechnung des künftigen Energiebedarfs unter Berücksichtigung entsprechender Planungsparameter und herstellerseitigen Vorgaben
  3. Erarbeitung von Infrastrukturszenarien und Ableitung einer konkreten Hardwareeinkaufsliste für notwendige Infrastruktur-Bestandteile
  4. Berechnung von Business Cases als Grundlage für mittel- und langfristige Investitionsentscheidungen

C. Implementierung von Prognose- und Supportkonzepten, um zeitintensive Reparaturen und unvorhergesehene Kosten durch plötzliche Ausfälle und ungeplante Störungen durch defekte Ladestationen zu reduzieren:

  1. Kontinuierliches Monitoring des Gesundheitszustandes der installierten Basis, um Ausfälle frühzeitig zu detektieren
  2. Einsatz von Advanced Analytics, um potenziell auftretende Fehlerbilder auf Basis von Echtzeitdaten vorherzugsagen (Predictive Fault Detection)
  3. Optimierung der technischen Field Force und Ergänzung um Aspekte der vorausschauenden Wartung

HPP sieht in Predictive Fault Detection & Repair einen vielversprechenden Use Case für die Vertragspartner der OEMs, mit dem unvorhergesehene Ausfälle der Ladestationen reduziert werden können. Gemeinsam mit unserem Kooperationspartner d-fine als Data & Analytics Experte führen wir die Implementierung von Predictive Fault Detection Modellen nach eingehender Prüfung der Datenarchitektur und Qualität durch.

 

5. HPP electrifies

Die Elektromobilität ist unbestritten ein elementarer Bestandteil der Energiewende. Als Experten im Kompetenzfeld Automotive bringen wir im Bereich HV-Ladeinfrastruktur umfassende Erfahrung mit und können dieses Wissen gezielt bei der Erarbeitung, Erstellung und letztendlich auch bei der Umsetzung von Konzepten und Maßnahmen auf HQ-, Markt- oder Retaillevel einbringen.

Zusätzlich beschäftigt sich HPP detailliert mit unterschiedlichsten Themenbereichen im Kontext der e-Mobilität, wie z.B. die Implikationen im Aftersales, die Ausgestaltung von Ladetarifen und Preismodellen und die Entwicklung von Auto-Abo-Modellen für e-Fahrzeuge. Dabei werden der Status Quo als auch die spezifischen Herausforderungen themenabhängig analysiert sowie Handlungsempfehlungen erschlossen. Weitere Erkenntnisse zu diesen Themen werden wir in einer der nächsten HPP | consultingnews preisgeben.

Ansprechpartner

Christian Karwehl

Christian Karwehl

Herr Karwehl ist Director bei HPP und seit mehr als 15 Jahren Berater mit Fokus auf der Automobilindustrie. Er hat zahlreiche nationale und internationale Projekte in Europa, USA, China und Süd-Amerika verantwortet.
Nach 7 Jahren HPP hat er weitere 7 Jahre in einer internationalen Großberatung verbracht und ist 2019 zu HPP zurückgekehrt.
Christian Karwehl hat in Hannover Wirtschaftswissenschaften studiert. Er ist verheiratet und leidenschaftlicher MTB-Fahrer.

Dr. Thorsten Liebehenschel

Dr. Thorsten Liebehenschel

Herr Dr. Liebehenschel ist geschäftsführender Gesellschafter bei HPP. Mit seiner Expertise in der Automobilindustrie verantwortet er Projekte für verschiedene Hersteller und den Automobilhandel in unterschiedlichen Bereichen weltweit. In Zusammenarbeit mit der Volkswagen AG promovierte er zum Thema „Ökologieorientierte Produkt- und Dienstleistungspolitik in der Automobilindustrie“.
Herr Dr. Liebehenschel hat in Siegen studiert, ist verheiratet, Vater eines Sohnes und leidenschaftlicher Fan der Eintracht.

Titelbild: nrqemi/shutterstock (766206931)